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Matthias Morgner über russische Gefängnisse: Kultur der Korruption

Posted in Matthias Morgner (Linguist) by cafeblaulicht on 16. Mai 2006

Russland hat eine alte Tradition des Einsperrens und eine alte Kultur der Gefängnisse. (Foto: Archiv Morgner)

Gastautor Matthias Morgner gibt in diesem Artikel einen Aufriss wie die sowjetische Korruption entstand, nämlich in den Gefängnissen. Wie die Unterscheidung in „Staatsfeinde“ und „gute Diebe“ gemacht wurde. Wie sich historisch das sowjetische System, das Eigentum ablehnte und damit scheiterte, in den Lagern (GULags) entwickelte und eine Kultur der Bevorzugung der Kriminellen und der Benachteiligung der Regimekritiker hervorbrachte. Erst Anfang der 1960er Jahre kam ein neues Gefängnisgesetz, das vieles änderte. (mjo)

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(Wien, im Mai 2006) Das russische Internet, das so genannte „Ru-net“, ist reich an Fotos und Texten zum russischen Strafvollzug und zur Gefangenensubkultur. In österreichischen Gefängnissen sind vor allem Personen aus Georgien breit vertreten.

Im gesicherten Material waren allerdings in keiner russischen oder deutschen Ressource Hinweise auf Georgier in österreichischen Gefängnissen zu finden.

„Klassenbewusste“ Kriminelle gegen „Volksfeinde“

In Russland begannen im Jahre 1929 die ersten Massenrepressionen gegen vermeintliche politische Gegner des stalinistischen Regimes. Während des „Großen Aufbaus“ in den 1940er und 1950er Jahren stieg die Zahl der politischen Häftlinge in den Gefängnissen und Lagern auf ein Millionenausmaß an.

Ganze Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlichsten Lebensanschauungen, Interessen und Fähigkeiten wurden im sowjetischen GULag-System erfasst und über das Land verteilt. Der Großteil dieser als „Volksfeinde“ geltenden Menschen war auf ein Leben in Haft moralisch und psychisch völlig unvorbereitet und deshalb kaum in der Lage, kollektiv Widerstand zu leisten. Dennoch fürchtete die Staatliche Politische Sonderverwaltung OGPU, ein Vorläufer des späteren KGB, Lageraufstände durch politische Gefangene und begann, mit professionellen, in der kriminellen Welt besonderes Ansehen genießenden Verbrechern zu kooperieren.

Autoritäten.
(Foto: Archiv Morgner)

Gefängnisautoritäten – Sozialisiert im Gefängnis

Die Ursprünge dieser später „Diebe im Gesetz“ (vory v zakone) genannten kriminellen Autoritäten liegen in der Welt der Diebe des 18. Jahrhunderts und in den Moskauer Gilden der Bettler und Taschendiebe im 19. Jahrhundert. Nach dem bolschewistischen Staatsstreich von 1917 kam es zu einer ersten Annäherung zwischen der Welt der Politik und „klassenbewussten“ oder „sozial nahe stehenden“ Kriminellen, da Bolschewisten und Kleinkriminelle beide dieselbe Verachtung für das Eigentum hegten. Außerdem würde nach sowjetischer Doktrin mit dem Aufbau des Kommunismus die Kriminalität von selbst verschwinden.

Per Dekret wurde 1931 eine entsprechende Strategie für die operative Arbeit mit den „kriminellen Autoritäten“ ausgearbeitet, die den Einsatz Krimineller im Kampf gegen die „Volksfeinde“ vorsah. Direkte Kontakte zwischen den staatlichen Institutionen und den „kriminellen Autoritäten“ gab es aber kaum. Es wurde lediglich ein Umfeld geschaffen, in dem die Bildung einer von den „kriminellen Autoritäten“ beherrschten Ordnung begünstigt wurde. Die Lageradministrationen waren angewiesen, die „kriminellen Autoritäten“ mit allen Mitteln zu fördern, ihnen freie Hand im Lager zu lassen und gewisse Privilegien zu gewähren. So waren sie von jeder Form der Arbeit befreit und durften sich auf dem Lagergelände frei bewegen.

Zudem bekamen sie im Vergleich zu politischen Gefangenen deutlich geringere Haftstrafen. Einzige Bedingung für die kriminelle Gefängnis- und Lagerelite war, sich nicht in wirtschaftliche und vor allem politische Prozesse des Landes einzumischen.

Damit wurde de facto eine klare Klassenunterteilung der Gefangenen in „gewöhnliche Verbrecher“ (bytoviki) und „Volksfeinde“ geschaffen. Die „kriminellen Autoritäten“ nannten sich nun „Diebe im Gesetz“ und nahmen an Zahl sukzessive zu. Durch die offizielle Unterstützung krimineller Gefangener im GULag-System verstärkte sich der Druck auf nichtkriminelle Insassen und sollte schließlich zu einer rapiden Zunahme und Konsolidierung der Kriminalität in den Lagern und in der Sowjetunion führen.

Jesus spielt eine Rolle in der Gefängniskultur.
(Foto: Archiv Morgner/Wien)

1948: Der „hündische Krieg“

Nach der Vernichtung der „Volksfeinde“ versuchten die staatlichen Institutionen, das professionelle Verbrechen wieder in den Griff zu bekommen. Angesichts des wachsenden organisatorischen Potentials der „Diebeswelt“ und der Existenz von unabhängigen und schwer kontrollierbaren Strukturen wurde der sowjetischen Kriminalität öffentlich der Krieg erklärt. Zunächst wurde 1947 das Strafausmaß für Diebstahl empfindlich erhöht, im Jahr 1948 schließlich die große Selbstzerstörung der Diebeswelt eingeleitet, bekannt als der „Hündische Krieg“ (su?naja vojna).

Dieser „Krieg“ war eine gut geplante staatliche Aktion. Geschickt wurde der seit Ende des Zweiten Weltkriegs bestehenden Konflikt zwischen orthodoxen, allen Vorschriften des „Gesetzes“ konsequent verfolgenden Dieben und reformatorischen, aus der Roten Armee heimkehrenden „verräterischen“ Dieben (den „Hündinnen“, suki) verschärft. Später griffen die Lagerverwaltungen mit Misshandlungen und Hinrichtungen von auf dem „wahren“ Gesetz beharrenden Dieben ein und beförderten die „Hündinnen“ demonstrativ auf von der Lageradministration abhängige Posten.

Schließlich zogen einfache Gefangene gegen die Diebe los und vertrieben sie aus den Wohnzonen oder zwangen sie zu für sie unwürdigen Tätigkeiten wie Stubendienst und anderem, was automatisch den Ausschluss aus der „Diebeswelt“ bedeutete. „Rückfällige“ Diebe wurde von der Lagerleitung genötigt, schriftlich und öffentlich allen Diebesideen abzuschwören und in alternativer Gefängnishaft ihr Strafende abzuwarten.

Klassengesellschaft in russischen Lagern – Staatsfeinde und gute Diebe

Zunächst lösten sich viele Diebesgruppierungen auf, und nur ein Viertel der „Diebe“ konnte ihren Status bewahren. Langfristig brachten die Maßnahmen jedoch keinen Erfolg, im Gegenteil: Einige „Diebe im Gesetz“ demonstrierten nun ihre Macht und bedrohten durch Unruhen und Aufstände die Stabilität und Sicherheit in einzelnen Lagern. Mit dem Tod Stalins 1953 setzten zudem landesweite Amnestien, Rehabilitierungen, Verurteilungen besonders grausamer Lagerakteure aus der jüngsten Vergangenheit, Aufstände und die Formierungen unabhängiger Lagerverwaltungen ein. Mit dem einstigen Glanz und Ruhm der Diebeswelt war es vorerst vorbei, aber die Kriminalität unter den Insassen nahm rasant zu, woran vor allem „kaputte“ Diebe auffällig hohen Anteil hatten.

Die Amnestiewelle von 1953 bewirkte zudem die Ausbreitung vieler „Diebe“ auf dem Gebiet der Sowjetunion. Zunächst wurden sie in den Hafenstädten Rostov-am-Don und in Odessa aktiv, wo sie von der Polizei als Informanten für die schwer kontrollierbaren Ströme von Migranten angeworben wurden.

Entlassene Gefangene oft als Polizeispitzel tätig. (Foto: Archiv Morgner)

Letztendlich war der Staat gezwungen, wieder mit den „Dieben im Gesetz“ in den Strafanstalten zu kooperieren. Diese forderten und bekamen einen noch größeren Aktionsspielraum in den Lagern und konnten erstmals auch Kontakte zur Außenwelt aufnehmen. Die Lager und Gefängnisse entwickelten sich schließlich zu einer Art Schaltzentrale des sowjetischen Verbrechens, das sich langsam aber sicher über das gesamte Land ausbreitete.

Geduldete Verbrechen: Schmuggel und Erpressung

Zu den wichtigsten Einnahmequellen des teilweise aus den Gefängnissen heraus organisierten sowjetischen Verbrechens zählten Schmuggel von Edelmetallen und Kunstgegenständen, Erpressung von Unternehmern im Untergrund (private Wirtschaftstätigkeit war in der UdSSR gesetzlich verboten), Rauschgifthandel und verstärkt der Raub von industriellen Gütern aus Staatsbetrieben.

Mit der Zeit kooperierten die kriminellen Strukturen direkt mit den Direktoren der Staatsbetriebe, die sich auf diese Weise ungestraft bereichern konnten. In der Breschnev-Ära sollten sich diese illegalen Strukturen weiter verfestigten.

Die Strafvollzugsreform von 1961

Im stalinistischen GULag-System und in den 1950er Jahren war der Strafvollzug hauptsächlich wirtschaftlich auf die Realisierung großer Bauprojekte mit möglichst großen Arbeitskräftekontingenten und geringem Personalaufwand ausgerichtet. Während im Inneren der Lager die Disziplin durch die Instrumentalisierung der ursprünglich kleinen kriminellen Elite gegen die große Masse der Verurteilten gesichert wurde, und die prekäre Versorgungslage der Arbeitslager das ihrige zu einer Selektion und Unterwerfung der Gefangenen beitrug, änderte sich das sowjetische Strafvollzugssystem Anfang der 1960er Jahre grundlegend.

Zuvor hatte sich während des sowjetischen „Tauwetters“ in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre die Atmosphäre nach der Entmachtung bzw. Entlassung der „Diebe im Gesetz“ in den Gefängnissen und Lagern der Sowjetunion deutlich entspannt. Insassen wurde nun Geld ausbezahlt, welches sie in Büffets und Geschäften ausgeben konnten. Ein zur Arbeit stimulierendes und gleichzeitig selbstdisziplinierendes Anrechnungssystem auf das Strafausmaß wurde eingeführt. Bei Übererfüllung der Arbeitsnorm konnten sich Insassen für einen guten Arbeitstag zwei oder drei Tage Haft anrechnen lassen, wodurch die Mehrheit mit der Perspektive auf eine vorzeitige Entlassung sämtlichen Regelverstößen oder Konflikten mit der Administration auszuweichen versuchte.

Verzahntes System der Kriminalität in alter Sowjetunion. (Foto: Archiv Morgner)

KPdSU in 60er Jahren – Keine Kampagnen gegen Kriminalität

Im neuen Parteiprogramm der KPdSU wurde nun zu Beginn der 1960er Jahre auf massenwirksame Kampagnen für einen „verstärkten Kampf gegen das Verbrechen verzichtet“ und dafür verstärkt betont, dass der Aufbau des Kommunismus automatisch ein Verschwinden der Kriminalität bewirken würde. Chruscev versprach in einer Rede sogar, er würde dem letzten Gefangenen beim Verlassen des Gefängnisses persönlich die Hand schütteln. Erreicht sollte dieses Ziel werden mit dem Leitspruch: „Kriminelle sollen die Verachtung der Gesellschaft spüren!“

Eine Zeitzeugin berichtet, wie dies vor sich ging: „1959 kam ich in die Zone… Wir waren etwa 150 Leute und arbeiteten überall in der Ortschaft außerhalb der Zone. Ich hatte eine 24h Ausgangskarte, sodass ich in der Arbeit übernachten durfte, wenn es notwendig war. Ich habe als Kindermädchen gearbeitet… Gearbeitet haben wir nicht für Talons, sondern für Geld. Im Geschäft gab es alles, von der Oberbekleidung bis zur Bettwäsche. Männer kamen zu uns zu Gast, wir zu ihnen. Anfang 1961, als sich das Regime änderte, wurden wir alle eingesperrt. Uns wurden die Ausgangskarten weggenommen, Anstaltskleidung angeordnet … Geld wurde uns auch keines mehr gegeben, alles wurde uns abgenommen, Wertsachen eingesammelt, ein Regime eingeführt… Nun mussten wir uns mit der Administration auseinandersetzen. Wie heute auch gab es dann Abteilungsleiter und einen Kolonieleiter. Da haben wir dann nur noch in der Zone gearbeitet…“

1961 – Umbenennung der Lager in „Anstalten“ und „Kolonien“

Zunächst wurden mit der Strafvollzugsreform von 1961 die Lager in „Anstalten“ der „Kolonien“ umbenannt und eine verschärfte Strafvollzugsgesetzgebung eingeführt. In allen Lebensbereichen des Gefangenen wurden umfassende Reglementierungen festgelegt, Normen zur Beschränkung von Briefverkehr, Paketsendungen und Besuchen von Angehörigen bis zur Auswahl der Lebensmittel. Das Arbeitsanrechnungssystem wurde durch eine vorzeitige bedingte Entlassung ersetzt, die allein von der Administration und nicht mehr von der Leistung des Gefangenen abhing.

Neue Kategorien des russischen Strafvollzuges

Der Strafvollzug wurde neu kategorisiert. Ersttäter kamen in Kolonien „allgemeinen Regimes“, während Wiederholungstäter und Schwerverbrecher einem „strengen“ oder „besonderen Regime“ unterlagen. Vor allem im ausgegliederten Jugendstrafvollzug und in den Anstalten „allgemeinen Regimes“ sollten sich in dem formal als lockerer geltenden Vollzug besonders brutale Hackordnungen herausbilden.

Die Reform von 1961 bedeutete einen Rückschritt zu alten Lagerverwaltungsmodellen, in denen in erster Linie die Einhaltung der staatlichen Gesetzlichkeit durch ein strenges Haftregime und ein hartes Bestrafungssystem vorgesehen war. Ein „Operativer Dienst“ der Strafvollzugsverwaltung mit einem Stand von 2 bis 5 % Agenten, Informanten und Provokateuren unter den Insassen versuchte, die innere Kontrolle des Lagerlebens zu übernehmen, gleichzeitig wurde ein Gefangenenselbstverwaltungssystem eingeführt. Insassen konnten nun neu geschaffene Verwaltungsfunktionen wie „Brigadier“, „Abteilungsältester“ und „Stubenältester“ besetzen, und einen Teil der Vollmachten des Lagerpersonals zugewiesen bekommen.

Die „Selbstverwaltung“ weitete sich sukzessive aus, übernahm Aufgaben der „politischen Umerziehung“ und sogar Wachfunktionen. Bald jedoch sorgte die Einrichtung so genannter „Sektionen“, quasi-ehrenamtlicher Gefangenenorganisationen mit Mitgliedschaft, für ein Ende des Gefangenenselbstverwaltungssystems im eigentlichen Sinn. Ein Gefangener, der ein Aufnahmegesuch an die „Organisation“ einreichte, war nun kein nur vorübergehender Mitarbeiter mit eingeschränkten Funktionen und Verantwortungen mehr, sondern wurde zu einem fixen und vielseitig einsetzbaren Gehilfen der Administration.

Besserung schwer in Sicht. (Foto: Archiv Morgner)

Der Insasse war jetzt verpflichtet, für Ordnung zu sorgen und Berichte über Verstöße anderer Gefangener zu liefern. Die nominelle Teilnahme in den Organisationen war zudem Voraussetzung für die Klassifizierung eines Insassen als „fest auf dem Weg der Besserung stehend“ und für damit verbundene Aussichten auf eine vorzeitige Entlassung.

„Am Weg der Besserung Stehender“

Es gab Listen mit Funktionen für „am Weg der Besserung Stehende“, und es entwickelte sich eine Art Nomenklatur mit entsprechenden Vermerken in Personalakten und (von kriminellen Strukturen unabhängige) Lagerkarrieren. Allerdings wollte trotz massiven psychischen und physischen Drucks seitens der Anstaltsadministration kaum ein Insasse Mitglied dieser „Sektionen“ werden. Bis in die 1970er Jahre hinein gelang es nicht, in allen russischen Kolonien „Selbstverwaltungsorgane“ zu bilden. Die „am Weg der Besserung Stehenden“ wurden von den Gefangenen isoliert und als „Rote“ oder „Ziegenböcke“ (kozly) einer neuen prestigelosen Kaste der Gefangenenwelt zugeordnet.

Insassen, denen „Widerstand gegen die Administration“ oder die „Entziehung von gesellschaftlich nützlicher Arbeit“ vorgeworfen, oder von Informanten des Operativen Dienstes wegen Zugehörigkeit zur „Diebeswelt“ angezeigt wurden, galten per Vermerk als „negativ verfasste Verurteilte“. Diese „negativ Verfassten“ wurden von den übrigen isoliert und in spezielle Gefängnisse überstellt.

Korruption oder: Die Unkultur der kahlen Felder

Der Kampf der Sowjetunion gegen die „Diebe im Gesetz“ erinnert an den Kampf der Chinesen mit den in China zu einer Plage gewordenen Spatzen, die oft die gesamte Saat von den Feldern fraßen. Die landesweite Aktion zur Vernichtung dieser Vögel brachte das ökologische Gleichgewicht derart durcheinander, dass in der Folge eine Flut von Insekten über die chinesischen Felder herfiel. Nur wenige Jahre nach der Strafvollzugsreform von 1961 begannen die „Diebe im Gesetz“ wieder eine Rolle zu spielen, bis sie in den 80er Jahren in der sowjetischen Öffentlichkeit als gesellschaftliches Phänomen breit diskutiert wurden.

Offenbar beschleunigte die Forderung, „auf dem Weg der Besserung zu stehen“ die Wiederbelebung des „Diebesgesetzes“, das nun als „Gefängnisgesetz“ (tjuremnij zakon) bezeichnet wurde und immer mehr Anhänger fand. Der von der Administration angebotene „Weg der Besserung“ wäre von vielen Gefangenen vor allem deshalb abgelehnt worden, weil ihnen eine Besserung mittels Verrat an Mitinsassen nicht nur unlogisch erschien, sondern als moralisch zutiefst verwerflich und ungerecht.

Ungeschriebene Gesetze – starke Milieukultur

Da aber die sowjetische Gefängnisadministration keinen alternativen „Weg der Besserung“ vorschlagen konnte, griffen die Insassen auf eigene Traditionen und alte Werte der Gefangenenwelt zurück und schufen neue Kasten (masti), Ordnungen und Statussysteme. Wie im „Diebesgesetz“ ist auch im ungeschriebenen „Gefängnisgesetz“ jede Art von Zuträgerei, Diebstahl unter Gleichen, haltlose Beschuldigungen und jede Art der Beleidigung verboten. Umgesetzt wird das „Gesetz“ entweder durch Auseinandersetzungen (razbojka), oder durch die Anrufung von kriminellen „Autoritäten“.

Während im alten „Diebesgesetz“ Verletzungen eines Prinzips auch durch Morde vergolten wurden, sah das neuere „Gefängnisgesetz“ zunehmend die so genannte „Herabsenkung“ von Insassen in den Status eines passiven Sexualobjekts vor. Durch das Ritual der „Herabsenkung“ erfolgte für den Betroffenen der Eintritt in die neu gebildete unterste Kaste der Gefangenen, der „Hähne“ (petuchi).

Eingestellt von Marcus J. Oswald (Ressort: Matthias Morgner)

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Mag. Matthias Morgner lebt in Wien, ist Russischdolemetsch und Mitarbeiter der Österreichischen Justiz. Er will auf dieser Seite über russische Gefängniskultur und über die Situation der russischen Subkultur in österreichischen Gefängnissen schreiben. Interessierte erreichen ihn unter dieser Webseite oder unter matthias.morgner@justiz.gv.at

2 Antworten

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  1. […] auf der Gastkommentatorenseite „Café Blaulicht“ ein alter, noch immer gut lesbarer Artikel über „Russische Gefangenenkultur“ wieder eingestellt wurde. Er datiert aus 2006, ist aber nach wie vor ein guter […]

  2. […] Matthias Morgner über russische Gefängnisse: Kultur der Korruption (16. Mai 2006) sowie: Matthias Morgner über: Russen-Häftlinge und Drogen (12. November 2008) […]


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